Neulich erhielt ich eine e-Mail von einer mir unbekannten Lektorin für literarische Texte, die beim Stöbern im Internet meine Verlagsseite gefunden hatte. Sie wies darauf hin, dass meine letzten Beiträge aus dem Jahr 2021 stammen und fragte in sehr nette Worten gefasst nach, ob es mich überhaupt noch gibt.
Ich war ein wenig gerührt und möchte öffentlich antworten: Es gibt Menschen, die meinen, wenn sie ein Dreivierteljahrhundert an Lebenszeit vollbracht haben, dürfen sie die Verantwortung für ihre Gedanken in jüngere Hände legen, weil sie glauben, jene könnten etwas damit anfangen. Vielleicht ging es mir ähnlich, obschon ich ahnte, dass auch dieser Glaube beim Verirren hilft. Man sollte wirklich bis zu aller Letzt sich seines eigenen Verstands bedienen und nicht viel Zeit verschwenden, das Echo vorher zu bedenken. Ich bin der Lektorin also dankbar, dass sie mir altem Kerl so einen kleinen Anstoß versetzte.
Denn ich editiere nach wie vor Bücher (weniger hastig als früher, da der Brotbeutel zu füllen war) und schreibe selber welche. Letztere gelangen über die Anmeldung im Verzeichnis für lieferbare Bücher in die Öffentlichkeit wie jedes andere Buch auch. Aber wie bei jedem anderen Buch auch muss man wissen, dass es existiert, damit man es eventuell bestellen kann. Werbung unterstützt dabei die Nachfrage, ist leider teuer, kleine Verlage sind meist blank. Oft helfen die Autoren dem Verlag und sich selbst, indem sie ihr Werk auf Leseabenden vorstellen und ein paar Exemplare verkaufen – und mit dem Publikum diskutieren, falls es etwas zu diskutieren gibt. Wer gut „pilchern“ kann, verkauft gut, braucht dagegen kaum zu diskutieren. So hält sich die Branche der Kleinverlage über Wasser.
Bei meinen eigenen Büchern entsteht beim Bekanntmachen eine weitere Unpässlichkeit: ich kann sie wegen eines Sprachfehlers nicht selbst vorstellen und Mittel, diese Aufgabe zu delegieren, sind sehr begrenzt; zu allem Überfluss passen meine Bücher nicht ins Bild einer krampfhaft wohlständig und glücklich sein wollenden demokratieheischenden Endlosschleife, denn sie zeigen zum Verdruss ständig sich vermehrende Verlierer im Kapitalismus. Dazu kommt noch meine ostdeutsche Herkunft und das Grauen der Beobachtung der Treuhand-Anstalt beim Zerhacken der DDR und mein Schluss: Das fällt euch eines Tags auf die Füße! Nun fällt es gerade (auf Füße, die damals noch klein und schuldlos waren), und ich kann eine gewisse Häme nach außen wohl verbergen, nach innen jedoch gelingt das nur unzureichend.
Aus dieser Grundhaltung entstehen meine Bücher. Es sind Dichtungen; doch auch bei diesem literarischen Genre liegen Wahrheiten vor dem Dichter meist direkt im Wegesdreck – jener muss nur verrückt genug sein, sie herauszupükern, zu putzen, daraus einen Faden zu spinnen dann auf einem gedanklichen Webstuhl Botschaften zu weben.
Auf die Weise sind meine „Kienappelkuren“ entstanden, ein Roman, der einfach unterstellt, dass 1989 nicht die Allianz für Deutschland die letzte DDR-Volkskammerwahl gewann (woraus dann der Beitritt der DDR zur BRD resultierte), sondern eine kurz zuvor entstandene neue Partei, welche die DDR demokratisch erneuern wollte. Vier Jahre ließ man die Spaßvögel gewähren, dann schlug das Kapital zu …
Ein zweiter Teil ist in Arbeit: Mehr als dreißig Jahre später. Der Westen mault so sehr über den undankbaren und renitenten Osten, dass dem der Kragen platzt und er einen Volksentscheid erzwingt mit dem Ziel, sich durch eine Sezession vom Westen zu trennen. Das ist laut GG nicht unmöglich. Es geschieht tatsächlich. Doch was danach, kann ein kleines Land, demokratisch gewählt, gegen die Götzen des globalisierten Wertewestens gewinnen? Ein Dichter findet eigene Wege…
Mein langjähriger Freund, der nun verstorbene Journalist Günter J., schrieb am Anfang einmal unter ein Manuskript – da siezten wir uns noch: Ich beneide Sie: Sie sind ein Dichter, ich nur Journalist.
Er war ein guter Journalist, und ich wäre wohl ein schlechter geworden … Doch auch ein Dichter kommt ohne Wahrheit nicht aus, er darf sie aber mit viel Fantasie umhüllen, gewissermaßen einkleiden; eigentlich liefert er Kommentare zum Nachdenken.
Es braucht nur noch Leser, die das tun.