Sicher nicht. Es war zu viel beliebiger Zeitgeist vertreten, vorgetragen von oft jüngeren Autoren, umringt von ihren meist gleichaltrigen Fans, deren Jubelstürme dann lauter wurden, wenn die Ansprache schön fäkalisch wurde. Nichts für den Chef des WiedenVerlags, der lieber nachhaltiger verfasster Literatur lauschte, die manchem aber zu anstrengend schien und deswegen nicht allzu häufig vorkam.
Was hatte der WiedenVerlag aus Crivitz im Mecklenburgischen zu bieten? Da waren zunächst die Schrottveilchen - Erzählungen und Anekdoten von Rainer Stankiewitz und zwei Co-Autoren über die DDR und was danach kam. Interessenten bemerkten rasch und zum Teil erschrocken, dass sich innerhalb von nur vierzig Jahren zwischen beiden Deutschländern völlig verschiedene Menschentypen entwickelt hatten. Eine Besucherin, die längere Zeit quer gelesen hatte, bemerkte: „Gut geschrieben ist es auf jeden Fall!“ Da gab es weiter zwei neue Bücher der Verlagsautorin Elke Ferner (im Foto links zu sehen), die sich anlässlich des Mauerfalls auch mit der DDR beschäftigen. Ein Titel lautet: „Ich will mein Kind“. Die Autorin hat es nach Berichten der ebenfalls anwesenden Geschädigten (hier rechts im Bild) geschrieben, die wegen eines Ausreiseantrags jahrelang in Haft sitzen musste und ihr Kind schmerzlich vermisste. – Eine Spezialität übrigens des WiedenVerlags: Individuelle Schicksale in einen bleibenden Bücherwert zu verwandeln; mit ISBN, wenn allgemeines Interesse wahrscheinlich ist, oder ohne, rein privat, für die Familie, die mitunter groß sein kann, wenn der Opa des Opas auf Feldpost, in Sütterlin geschrieben, verweist, die der Verlag meist lückenlos für die Ururenkel lesbar macht. So haben auch kleine Verlage ihren Sinn, und die Buchmesse 2019, trotz aller spektakulären und teils fragwürdigen Events, hat ihren großen Sinn nicht nur in der Erweiterung des eigenen Horizonts, sondern stellt einen Spiegel auf, in dem sich der gegenwärtige Kulturanspruch selbstkritisch beäugen kann – sofern er Mut hat zur eigenen Courage.
Rainer Stankiewitz